«Auch wenn es aussieht, als hätte ich nur ein Badekleid an,
bin ich eingepackt wie ein Kind im Winter»

«Tristan | Ennia Face»

Am Tag ist er als Tristan unterwegs, am Abend verwandelt er sich in die Dragqueen Ennia Face. Er ist Entertainer, der sich für Shows, für Partys und aus lauter Freude in eine Frau verwandelt und sie übertrieben darstellt – sich jedoch weiterhin als Mann fühlt. Doch die Verwandlung ist sehr aufwändig: Ganze drei Stunden dauert es, bis aus Tristan sein weibliches Drag-Alias entsteht. Make-Up, Schaumgummi-Hüften, falsche Brüste, Perücken, extravagante Outfits und fünf paar Strumpfhosen kommen unter anderem zum Einsatz. Diese Kleiderschichten haben jedoch den Nachteil, dass er zum Teil bis zu zwölf Stunden nicht auf die Toilette gehen kann. Trotzdem liebt Tristan die Dragwelt: Hier kann er all seine Talente einsetzen, um eine tolle Dragqueen zu sein bzw. mit Drag die Menschen zu unterhalten. Tristan erzählt in dieser Folge unter anderem, wie er Dragqueen geworden ist, wie sein Outing gelaufen ist und wieso er in voller Montur nur mit dem Taxi an die Veranstaltungsorte reist. Ausserdem sprechen wir über sein Liebesleben, seine Sexualität und ob er auf Dragqueens steht. Mit seiner aufgestellten und sympathischen Art hat er mich von der ersten Minute an sehr begeistert.

«Fakten»

1. Fakt
Drag = Abkürzung für «dressed as girl» (dt. wie Mädchen angezogen) bzw. aus dem Englischen von «to drag» (weil verkleidete Männer lange Röcke hinter sich herzogen).

Queen (dt. Königin) = Hebt das Gehobene, Luxuriöse, mit dem sich viele Dragqueens identifizieren, heraus und «Quean» ist das altenglische Wort für Frau.
2. Fakt
Bereits in der Antike sind Männer für Bühnenauftritte in Frauenkleider geschlüpft. Die lange Tradition hat zu Shakespeares Zeiten eine Hochblüte erlebt und wurde im amerikanischen Vaudeville-Theater ab dem 19. Jahrhundert gefeiert.
3. Fakt
1969 fand der Stonewall-Aufstand statt, wo sich Menschen das erste Mal gegen Polizeirazzias gewehrt haben. Dragqueens haben massgeblich zum Start der Unruhen beigetragen. Das Ereignis gilt als Geburtsstunde der modernen LGBTQ+ Bewegung.

«Mythen»


Die meisten Menschen haben wahrscheinlich noch nie eine Dragqueen live gesehen, geschweige den mit einer gesprochen. Obwohl Dragqueens mittlerweile in aller Munde sind, gibt es immer noch Berührungsängste. Negative Einstellungen und Klischees führen dazu, dass zahlreiche Angriffe gegen Dragqueens und die LGBTQ+ Community ausgeübt werden. Hier seht ihr einige Mythen, welche auch heute noch die Runde machen. Lasst uns gemeinsam den bestehenden Hass besiegen!

Dragqueens sind Männer, die im falschen Körper geboren wurden und gerne eine Frau wären

Falsch:

Eine Dragqueen ist ein Mann, der zeitweise durch Aussehen und Verhalten eine Frau darstellt. Für Shows, Partys etc. schlüpft er in eine Frauenrolle und trägt kunstvolles Make-up, hohe Schuhe und aufwendige Kostüme. Er verfolgt damit humoristische oder künstlerische Absichten. Die Person stellt zwar zeitweise eine Frau dar, identifiziert sich aber weiterhin als Mann. Somit unterscheiden sich Dragqueens von Transgendern (Personen, deren psychologische Geschlechtsidentität nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt).

Dragqueens sind das Gleiche wie Travestie-Künstler

Falsch:

Der Unterschied zu einem Travestie-Künstler besteht darin, dass Dragqueens eine feste Rolle mit eigenem «Drag-Namen» haben, Travestie-Künstler hingegen in verschiedene Frauenrollen schlüpfen und auch prominente Frauen imitieren oder parodieren. Die Übergänge sind jedoch fliessend und es gibt auch Kombinationen.

Alle Dragqueens sind homosexuelle Männer

Nicht zwingend:

Die sexuelle Orientierung spielt bei Drag keine Rolle. Dragqueens gibt es sowohl bei Homos, Heteros, als auch bei anderen Sexualpräferenzen. Drag stammte jedoch ursprünglich aus der Schwulenszene.

Drag ist eine Art Fetisch

Falsch:

Drag ist eine Kunstform, die sich durch Performance und Verwandlung ausdrückt. Dragqueens verbinden ihre Tätigkeit nicht mit einer sexuellen Motivation bzw. einem sexuellen Reiz. Ihr Ziel ist es einfach, Menschen mit ihren Auftritten zu unterhalten – vergleichbar mit einem Clown oder Zauberer. Übrigens: Für Dragqueens, die miteinander Sex haben, gibt es sogar einen eigenen Ausdruck: «Kai Kai»

Dragqueens laufen im Alltag manchmal als Frau herum

Nicht wirklich:

Der Aufwand wäre viel zu gross. Für die Verwandlung mit Make-up, Haare und Co. brauchen die Männer mehrere Stunden und die Outfits sind nicht wirklich alltagstauglich. Alleine schon der Fakt, dass mehrere Schichten übereinander angezogen werden, wäre beim normalen Toilettengang sehr mühsam. Daher verkleiden sich die Männer jeweils nur für Auftritte und Partys, für die sie engagiert werden.

Dragqueens punkten nur mit ihrem Aussehen

Nicht unbedingt:

Mit ihren aufwändigen Make-ups, den hohen Schuhen und den schrillen Outfits fallen die Dragqueens zwar besonders auf. Doch in ihren Shows geht es nicht nur um das Aussehen, sondern auch um die Performance. Egal ob Lip Sync, Gesang, Tanzeinlage, akrobatische Darbietung, Comedy – Dragqueens haben einiges zu bieten.

Dragqueens werden in der Gesellschaft akzeptiert

Nicht unbedingt, leider:

Dragqueens sind zwar mittlerweile im Mainstream angekommen und flimmern sogar bei uns in Shows wie RuPaul’s Drag Race oder Queen of Drags über den Bildschirm. Trotzdem sind Beleidigungen, Spuckattacken oder gar körperliche Angriffe auf offener Strasse traurige Realität in der LGBTQ+ Community. Dies führt dazu, dass Dragqueens selten in voller Aufmachung unterwegs sind. Die meisten nehmen ein Taxi zu ihren Auftritten. Leider wird bis heute keine Statistik zu Hassverbrechen gegen die Community geführt, obwohl die Gewalt wächst. Immerhin ein Lichtblick: Am 9. Februar 2020 hat das Schweizer Stimmvolk eine Gesetzesrevision deutlich angenommen, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung verbietet.